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Bronzenes Gastarbeiter-Denkmal

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  • © AK "Stadt & Natur erleben" Stadtmarketing Lehrte
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  • © SB Mediengestaltung - Sandra Bialek - "Lehrter Land & Leute" - Ausgabe 58
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  • © Foto: Katja Eggers
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  • Hasan Kurtulus, Generalkonsulin Gül Özge Kaya | © Foto: Kurtulus-Gruppe
    Hasan Kurtulus, Generalkonsulin Gül Özge Kaya | © Foto: Kurtulus-Gruppe
  • Unternehmer Hasan Kurtulus, Ministerpräsident Stephan Weil, Generalkonsulin Gül Özge Kaya und Lehrtes Bürgermeister Frank Prüße nach der Enthüllung des ersten Gastarbeiter-Denkmals in Lehrte |. © Foto: KATJA EGGERS
    Unternehmer Hasan Kurtulus, Ministerpräsident Stephan Weil, Generalkonsulin Gül Özge Kaya und Lehrtes Bürgermeister Frank Prüße nach der Enthüllung des ersten Gastarbeiter-Denkmals in Lehrte |. © Foto: KATJA EGGERS
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60 Jahre Gastarbeiter in Lehrte
Katja Eggers
Die Stadt hat am 13. Mai 2022 vor dem Lehrter City-Center ein besonderes Denkmal enthüllt: Eine lebensgroße Bronzefigur erinnert an die erste Generation von Gastarbeitern, die in den Sechzigerjahren nach Lehrte kamen und mit ihrer Arbeitskraft maßgeblich zum Wohlstand Deutschlands beitrugen. Ihre Ankunft jährt sich nunmehr zum 60. Mal. Aber wie kam es überhaupt dazu? Wie lebten und arbeiteten die Arbeitsmigranten damals? Und was ist eigentlich aus ihren Nachfahren geworden? Die ersten waren die Italiener: Am 20. Dezember 1955 unterzeichneten Bundesarbeitsminister Anton Storch und der italienische Außenminister Gaetano Martino in Rom das deutsch-italienische Anwerbeabkommen. Es ermöglichte deutschen Unternehmen, Arbeitskräfte aus Italien legal zu beschäftigen. Zunächst wurde die Vermittlung von 100.000 italienischen Arbeitern geregelt, in den folgenden Jahren kamen fast vier Millionen Italiener nach Deutschland. Von dem Arrangement profitierten beide Seiten: Die italienische Wirtschaft wurde entlastet und die Massenarbeitslosigkeit im überbevölkerten Süden des Landes eingedämmt. Gleichzeitig konnte in Deutschland der Mangel an Arbeitskräften behoben werden. Anfang der 1950er Jahre hatte die Wirtschaft der jungen Bundesrepublik noch einen enormen Aufschwung erlebt. Insbesondere in der Landwirtschaft, im Bergbau und im Straßenbau wurden dringend Arbeitskräfte gesucht. Und die gab es in den europäischen Nachbarländern. Nach dem Muster des deutsch-italienischen Anwerbeabkommens folgten 1960 Vereinbarungen mit Spanien und Griechenland, 1961 mit der Türkei, 1964 mit Portugal und 1968 mit dem damaligen Jugoslawien. 1963 wurde zudem ein Abkommen mit Marokko geschlossen, 1965 eines mit Tunesien.
Kaum Privatsphäre und Frauenverbot
In den Sechzigerjahren kamen die ersten Gastarbeiter mit Sonderzügen nach Deutschland. Am Bahnhof wurden sie registriert, mit einer warmen Mahlzeit versorgt und auf die Züge verteilt, die sie zu ihren Arbeitgebern fuhren. Die Kosten für die Reise nach Deutschland übernahmen die Unternehmen. Das Abkommen legte zudem fest, dass die Arbeitgeber ihren Gastarbeitern eine angemessene Unterkunft zur Verfügung stellen mussten. Die Behausungen waren jedoch alles andere als komfortabel. Die überwiegend männlichen jungen Angeworbenen lebten häufig auf engstem Raum in Sammelunterkünften. Die Wohnheime befanden sich meistens auf dem Werksgelände der Betriebe und bestanden mitunter aus einfachen Holzhütten. In den Gemeinschaftszimmern mit Etagenbetten, gemeinschaftlichen Küchen und Waschräumen gab es kaum Privatsphäre. Es herrschten strenge Regeln. Frauenbesuche waren generell verboten. Um Wohnungen auf dem freien Wohnungsmarkt bemühten sich die Gastarbeiter in der Regel erst, wenn sie ihre Familien nachholten oder sich die Perspektive auf einen längeren Aufenthalt in Deutschland bot.
Schmutzige Schichtarbeit, Akkordlohn und Überstunden
Ursprünglich war jedoch vorgesehen, dass die Arbeitsmigranten als eine Art »mobile Arbeitsreserve« nur für eine bestimmte Zeit in Deutschland bleiben und bald wieder zurück in ihre Heimatländer kehren sollten. Die Anwerbeabkommen legten die Dauer des Aufenthaltes auf höchstens zwei Jahre fest. Für die Arbeitgeber erwies sich dies jedoch als äußerst unpraktikabel, da sie bereits angelernte Arbeitnehmer nach der festgelegten Zeit wieder fortschicken und ersetzen mussten. Auch strebten viele Arbeitnehmer wegen der lukrativeren Entlohnung und der Hoffnung auf eine bessere Zukunft längere Aufenthalte in Deutschland an. Von den rund 14 Millionen Gastarbeitern, die bis 1973 nach Deutschland kamen, gingen schließlich mehr als elf Millionen zurück in ihre Heimatländer. Die meisten Gastarbeiter kamen in Deutschland seinerzeit in der Landwirtschaft, im Baugewerbe, der Eisenbahn- und Metallindustrie und im Bergbau zum Einsatz. Dort wurden sie als angelernte Arbeiter häufig für schwere, schmutzige und Schichtarbeit sowie am Fließband in großen Industriebetrieben eingeteilt und nach Akkordlohn bezahlt. Überstunden waren an der Tagesordnung. Das Geld wurde in der Regel gespart und in die Heimat geschickt, um sich dort nach der Rückkehr eine neue Zukunft aufzubauen.
Unterbringung im »Bullenkloster« und auf Hof Breustedt
Auch Lehrte ist in den Sechzigerjahren Zuzugsort der ersten Generation von angeworbenen Arbeitsmigranten gewesen. Wie viele Menschen aus den Mittelmeerländern seinerzeit zum Arbeiten nach Lehrte kamen, ist allerdings nicht bekannt. »Lehrte war für das Thema Migration nicht zuständig, das war Bundesangelegenheit«, erklärt Dr. Jens Mastnak, Leiter des Lehrter Stadtarchivs. Jürgen Teiwes, der die Umsetzung der Pläne für Lehrtes Gastarbeiterdenkmal maßgeblich unterstützt hat, vermutet, dass seinerzeit aber wohl Tausende Gastarbeiter nach Lehrte gekommen sind. Als ehemaliger Realschulleiter hatte Teiwes in der Vergangenheit oft Kontakt zu Gastarbeitereltern und reiste auch selbst in die Türkei. Für das Denkmal-Projekt hat er emsig recherchiert. »Die meisten Gastarbeiter aus Lehrte haben bei Miele, Kali +Salz, bei der Eisenbahn oder in der Zuckerfabrik gearbeitet«, berichtet Teiwes. Untergebracht waren viele seinerzeit auf dem Lehrter Hof Breustedt an der Sehnder Straße oder in den im Volksmund als »Bullenkloster« bezeichneten Steinbaracken in Nähe des Schachtes am Sauerweg, wo der Lehrter Sportverein heute seine Tennisanlage hat.
Wagenreiniger und Weichenschmierer für die Deutsche Bahn
Von K + S heißt es, dass Gastarbeiter bedingt durch den Arbeitskräftemangel erstmals 1960 im Werk Bergmannssegen-Hugo eingesetzt wurden. »Laut der Chronik zum 100-jährigen Bestehen des Werks handelte es sich dabei um Italiener«, berichtet Marcus Janz, Pressesprecher der K + S Aktiengesellschaft. Wie viele Gastarbeiter einst bei Miele beschäftigt waren, ist schwer zu sagen. »Als ehemalige Produktionsstätte des Gillette-Konzerns ist das Werk Lehrte erst seit 1965 Teil der Miele Gruppe. Leider verfügen wir zur Beschäftigung der sogenannten Gastarbeiter aber auch für die Jahre danach über keine aussagekräftigen Zahlen«, bedauert Carsten Prudent, Leiter der Unternehmenskommunikation. Fest stehe jedoch, dass es die klassische Anwerbung von Gastarbeitern für Lehrte nicht gegeben habe. »Aber auch ohne diesen Prozess haben gleichwohl in geringer Zahl Kolleginnen und Kollegen aus zum Beispiel Spanien, Italien und Griechenland bei uns gearbeitet. Die türkischen Beschäftigten sind erst später eingestellt worden. Diese Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind inzwischen im Rentenalter und meistens wieder in ihrer Heimat oder bereits verstorben«, erklärt Carsten Prudent. Ein weiteres Unternehmen, das Gastarbeiter beschäftigte, war die Deutsche Bahn. Im Vergleich zu den Einheimischen wurden die Arbeitsmigranten dort oft schwereren körperlichen Belastungen ausgesetzt und kamen vor allem als Wagenreiniger im Gleisbau und Lagerarbeiter zum Einsatz. Wie es Giovanni Donadei, dem wohl ersten italienischen Gastarbeiter in Lehrte, damals als Gleisarbeiter und Weichenschmierer erging erzählen dessen Söhne Giuseppe und Michele im nachstehenden Interview.
Heimisch in der Fremde
1973 dann der Richtungswechsel: Die Bundesregierung begrenzte den Zuzug weiterer Arbeitskräfte durch einen Anwerberstopp für Menschen aus Nicht-EG-Staaten. Begründet wurde die Maßnahme mit der weltweiten Ölkrise und der daraus resultierenden Rezession. Der Stopp führte jedoch dazu, dass Migranten nach einer Rückkehr in ihre Herkunftsländer nicht mehr zum Arbeiten nach Deutschland zurückkehren durften. Die erhoffte Rückreisewelle blieb daher aus, die Zahl der Ausländer in Deutschland stieg sogar noch an. Viele holten jetzt erst recht ihre Familien nach und bauten sich eine neue Existenz auf. Alles in allem gilt die Integration der Gastarbeiter in Deutschland als Erfolgsgeschichte. Heute sind viele der damaligen Gastarbeiter deutsche Staatsbürger. Mittlerweile ist mit ihren Kindern und Enkeln die dritte Generation herangewachsen. Auch sie wurden heimisch in der Fremde. Viele leben bewusst mit zwei Kulturen, sind in Verbänden, Vereinen, Religionsgemeinschaften, Parteien und Gewerkschaften aktiv und gestalten das Land vielfältig mit.
Ein Denkmal für Lehrte
Den Gastarbeitern der ersten Stunde wurde in diesem Jahr ein Denkmal gesetzt. Der Lehrter Unternehmer, Investor und Sponsor Hasan Kurtulus schenkte der Stadt eine lebensgroße Bronzefigur: Ein Mann mit Hut, Anzug, Krawatte und Koffer sitzt auf einer Bank, den Blick in die Ferne gerichtet. »So sahen seinerzeit die typischen Gastarbeiter aus – sie wollten im neuen Land gut gekleidet einen positiven Eindruck hinterlassen«, erklärt Kurtulus. Der Bronze-Mann steht für die Verbundenheit der Zugezogenen und ihrer Familien mit ihrer neuen Heimatstadt und ist obendrein Ausdruck für eine offene und vielfältige Gesellschaft. Für Kurtulus ist das Denkmal eine Herzensangelegenheit. Sein Vater Baha kam 1964 von der türkischen Schwarzmeerküste nach Lehrte. »Aber das Denkmal ist kein türkisches Denkmal, sondern eines für alle Gastarbeiter«, betont Kurtulus. Der Rat der Stadt Lehrte stimmte seiner Schenkung bereitwillig zu: Entwurf, Herstellung und Installation belaufen sich auf rund 47.000 Euro. In der Summe inbegriffen ist zudem eine Veredelung. Denn künftig soll die Figur, die Unbekannte schon kurz nach ihrer Enthüllung mit einem Schriftzug beschmiert hatten, mit einer speziellen, wasser- und schmutzabweisenden Schicht überzogen werden. Darüber hinaus macht sich Kurtulus für die Aufstellung eines Gedenksteins am »Bullenkloster« stark. Das Stadtmarketing Lehrte will am Gastarbeiter-Denkmal zudem einen QR-Code mit Infos zum Projekt installieren. Den Entwurf des Denkmals hatte eine Künstlerin aus Istanbul angefertigt. Das Projekt war seinerzeit jedoch ins Stocken geraten und hatte sich verzögert. Eigentlich sollte das Denkmal bereits Ende Oktober 2021 genau zum 60. Jahrestag des ersten Zuzugs von Gastarbeitern in Lehrte enthüllt werden. Weil die Künstlerin zwischenzeitlich jedoch eine kreative Schaffenspause einlegte, übertrug Kurtulus den Auftrag einem Künstler aus Norddeutschland.
Aus Zugereisten wurden Freunde
Am 13. Mai war es dann soweit: Gemeinsam mit Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil und Lehrtes Bürgermeister Frank Prüße enthüllte Kurtulus das Gastarbeiter-Denkmal in einer Feierstunde vor dem City-Center. Es ist die erste Erinnerung dieser Art in der Region Hannover. Prüße hob hervor, dass aus den Zugereisten in Lehrte längst Nachbarn, Klassenkameraden, Mannschaftskollegen und Freunde wurden. »Und allen ist gemeinsam, dass sie mit ihrer Arbeit dazu beigetragen haben, dass Lehrte zu der Stadt geworden ist, die sie heute ist«, sagte der Bürgermeister. Kurtulus bezeichnete er als »Integrations-Pionier« und Paradebespiel dafür, was mit Willen, Fleiß und Engagement erreicht werden könne: 1969 nach Deutschland gekommen, 1970 als erster türkischstämmiger Junge in die Albert-Schweitzer-Schule eingeschult, ist er heute der Geschäftsführer der Kurtulus Gruppe.
Ausstellung, Sketche und eine Broschüre
Nach der Enthüllung informierte die Schülerfirma des Lehrter Gymnasiums im Kurt-Hirschfeld-Forum über das Thema Migration und Integration der Gastarbeiter in Deutschland und insbesondere in Lehrte. Die Schüler und Schülerinnen hatten unter Leitung der Lehrer Dr. Ralph Grobmann und Markus Bauer Spurensuche direkt vor Ort betrieben und unter anderem Interviews mit Nachfahren der ersten und zweiten Generation geführt. In einer Ausstellung konnten sich die Besucher historische Dokumente und Zeitungsmaterialien sowie Fotos und Artefakte aus der Zeit ansehen und eine eigens von den Schülern erstellte Broschüre erwerben. Schüler des Fachs Darstellendes Spiel führten Sketche zum Thema auf. »Wir erhoffen uns, mit unserem kleinen Beitrag hinsichtlich der Überlieferung der Migrationsgeschichte, deren Bedeutung und somit der vielfältigen transkulturellen Entwicklung unserer Stadt Lehrte, aufspüren zu können, um die Erinnerung an jenes geschichtsträchtige Ereignis wachzuhalten und sie zu bewahren«, heißt es von Ralph Grobmann im Vorwort der Broschüre.

© SB Mediengestaltung - Sandra Bialek - "Lehrter Land & Leute" - Ausgabe 58

Quelle: altkreisblitz gastarbeiter-denkmal

© AK "Stadt & Natur erleben" Stadtmarketing Lehrte
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© Foto: AK "Stadt & Natur erleben" Stadtmarketing Lehrte
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© Foto: Katja Eggers
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Hasan Kurtulus, Generalkonsulin Gül Özge Kaya | © Foto: Kurtulus-Gruppe
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Unternehmer Hasan Kurtulus, Ministerpräsident Stephan Weil, Generalkonsulin Gül Özge Kaya und Lehrtes Bürgermeister Frank Prüße nach der Enthüllung des ersten Gastarbeiter-Denkmals in Lehrte |. © Foto: KATJA EGGERS
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